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Fokus
Vorsicht ansteckend! Die Zerstörung politischer Ordnung unter US-Präsident Trump
Die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump hat schon nach wenigen Monaten das politische System der USA und die internationalen Beziehungen tiefgreifend verändert. Angesichts der Schnelligkeit und der Reichweite dieser Veränderungen ist von einer autoritären Machtübernahme gesprochen worden. Die Mechanismen, die dabei eingesetzt werden, können auch in Europa die Demokratie gefährden. Deutschland und Europa müssen sich gegen die Gefahr einer „autoritären Ansteckung“ wehren und ihre Interessen an einer regelbasierten internationalen Ordnung wahren.
Angesichts der Gefahr „autoritärer Ansteckung“ sind liberale Institutionen wie eine freie Presse, der öffentlichrechtliche Rundfunk, die Freiheit der Wissenschaft und eine lebendige demokratische Zivilgesellschaft wichtiger denn je. Sie müssen unbedingt und vorbehaltlos gefördert werden.
Ideologien des radikalisierten Konservatismus gefährden die Demokratie. Liberale Gegenmodelle müssen in der Lage sein, Komplexität zu reduzieren und auch emotionale Identifikationsangebote zu machen, um die Organisationsfähigkeit der Gesellschaft zu stärken.
Gegen den institutionellen Kahlschlag des Trump-Regimes müssen Deutschland und Europa die internationale Kooperation mit allen Staaten intensivieren, die am Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung interessiert sind.
Angesichts der Infragestellung der NATO-Beistandsgarantie durch die USA sollten die europäischen Partner eine eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit entwickeln. Das impliziert, eigene Strategien gegenüber Russland, China und Partnerstaaten im Globalen Süden zu entwerfen.
Deutschland und die Partner in EU und NATO sollten deutlicher als bislang den politischen und militärischen Drohungen der USA gegen Partnerstaaten wie Kanada und Dänemark entgegentreten.
Deutschland und die EU werden die finanziellen Einbußen für das VN-System, die durch den Rückzug der USA entstehen, nicht völlig kompensieren können. Deshalb müssen sie mit Partnern aus dem Globalen Süden Kernaufgaben definieren und ihre Finanzierung sicherstellen.
Das Trump-Regime fördert Desinformation und Verschwörungstheorien auch in Deutschland und Europa. Um sich von amerikanischen (und chinesischen) Informationsplattformen unabhängiger zu machen, muss die digitale Souveränität gestärkt werden.
Bewaffnete Konflikte
„Vergessene Konflikte“: der Krieg im Sudan
Weltweit nimmt die Zahl an bewaffneten Konflikten zu, aber nur wenige erhalten internationale Aufmerksamkeit. In der deutschen Berichterstattung sind dies vornehmlich die Kriege in der Ukraine und in Gaza, während die Medien über andere Konflikte kaum berichten. Sie stehen ebenfalls nicht im Zentrum deutscher diplomatischer Bemühungen und humanitärer Hilfe. Ein Beispiel ist der Krieg im Sudan. Die humanitäre Lage ist katastrophal und hat verheerende Folgen für das Land, die Region und die internationale Friedenssicherung. Dennoch bleiben die internationalen Vorstöße, den Konflikt zu lösen, unzureichend. Sie sollten stärker auf die zivilen Akteure im Sudan setzen.
Die mediale und politische Aufmerksamkeit in Deutschland gilt derzeit den Kriegen in der Ukraine und in Israel/Palästina. Die Bundesregierung sollte andere Gewaltkonflikte mit hohem Eskalationspotenzial und gravierenden humanitären Auswirkungen politisch nicht vernachlässigen.
Die zunehmende Zahl an Gewaltkonflikten weltweit ist auch eine Bedrohung für Deutschlands Sicherheit. Die Überarbeitung der Krisenleitlinien der Bundesregierung sollte die Notwendigkeit der Krisenprävention und Friedensförderung untermauern und mit Selbstverpflichtungen hinterlegen.
Angesichts des Rückzugs der USA sollten Deutschland und die EU ihre humanitäre Hilfe für Krisenländer wie den Sudan erhöhen. Der Zugang zu humanitären Korridoren in Kriegsgebieten muss priorisiert werden. Für mehr Effizienz sollte humanitäre Hilfe stärker durch lokale Organisationen umgesetzt werden.
Deutschland und die EU sollten Vermittlungsplattformen fördern sowie finanzielle und strukturelle Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Emergency Response Rooms ausbauen, um ihre Rolle als Vermittler und humanitäre Helfer zu stärken.
Die Dokumentation von Kriegsverbrechen ist für eine spätere Strafverfolgung essenziell. Die Bundesregierung sollte sich für Fact-finding-Mechanismen einsetzen, darunter die der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker und des Sondergesandten der Afrikanischen Union (AU) für die Prävention von Genozid.
Die Marginalisierung der AU im Sudan hat langfristig negative Konsequenzen für die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur. Die AU könnte etwa Frauen aus dem AU-Netzwerk afrikanischer Mediatorinnen (FemWise) zur Unterstützung lokaler Friedensinitiativen entsenden.
Deutschland und die EU müssen den Druck auf Konfliktparteien erhöhen, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu garantieren. Die EU-Sanktionsliste sollte ausgeweitet, Ressourcenhandel vor allem in Konfliktgebieten stärker reguliert und der Verbleib von Militärgütern aus der EU konsequenter nachgehalten werden.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben den Krieg im Sudan durch Waffenlieferungen unterstützt. Deutschland sollte keine weiteren Rüstungsausfuhren in die VAE genehmigen, da das Risiko einer unerlaubten Weiterverbreitung der gelieferten Militärtechnologien zu hoch ist.
Nachhaltiger Frieden
Völkerrechtliche Mindeststandards als Gebot von Friedenspolitik
Kernnormen und Prinzipien des Völkerrechts sind in Gefahr. Die Verletzung völkerrechtlicher Mindeststandards in Gewaltkonflikten sowie Verstöße gegen das zwischenstaatliche Gewaltverbot unterhöhlen die multilaterale Friedensordnung. Bei ihrer Bewahrung gewinnt die internationale Gerichtsbarkeit an Bedeutung angesichts eines blockierten VN-Sicherheitsrats. Ihre zunehmende Entschlossenheit ist unterstützenswert, doch darf sie sich nicht von interessegeleiteten Staaten als Bühne vereinnahmen lassen.
Die Bundesregierung muss weiterhin internationale Gerichtsentscheidungen respektieren. Diese Verpflichtung darf nicht unter Berufung auf die Staatsräson relativiert werden. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) muss zudem im Zeichen von US-Strafmaßnahmen verteidigt werden.
Staaten müssen humanitäre Hilfe ermöglichen, die sich nach der Notlage richtet und nicht nach politischem Interesse oder Solidarität. Die Bundesregierung sollte Konfliktparteien mahnen, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der Zivilbevölkerung und der humanitären Helfer:innen nachzukommen.
Deutschland sollte stärker als bislang Soldat:innen, Polizist:innen sowie Zivilpersonal entsenden, damit Mandate zur Protection of Civilians auch durchgesetzt werden können. Es reicht nicht aus, viertgrößter Beitragszahler zum Haushalt der VNFriedensmissionen zu sein.
Ohne das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) kann in Gaza und im Westjordanland die völkerrechtliche Verpflichtung zur Sicherstellung der humanitären Hilfe und zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht wahrgenommen werden.
Humanitäre Hilfe für bedürftige Menschen muss auch bei Regimen geboten sein, die sich durch Repression und mangelnde interne Legitimation auszeichnen. Sie sollte aber nicht die Funktion von Entwicklungszusammenarbeit übernehmen und Regierungen von der Verpflichtung entlasten, der gesamten Bevölkerung ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Auch gegenüber befreundeten Staaten muss die Nutzung von international geächteten Waffensystemen kritisiert werden. Dass die Gegenseite sich nicht an internationale Normen hält, stellt keine Rechtfertigung für den Einsatz von Waffen dar, die unterschiedslos Zivilist:innen treffen.
Die Bundesregierung sollte den IStGH dabei unterstützen, geschlechtsspezifische Gewalt zu ahnden und in diesem wichtigen Bereich auch präventiv tätig zu werden.
Rüstungsdynamiken
Die zweite Zeitenwende
Die ersten Monate der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps markieren einen tiefen Bruch in der transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft. Die Zeitenwende 2.0 hat begonnen. Die Europäer:innen müssen ihre Verteidigungsausgaben nennenswert erhöhen und ihre Rüstungsentwicklungen darauf ausrichten, US-amerikanische militärische Fähigkeiten und Koordinationsleistungen zu ersetzen. Damit die Zeitenwende 2.0 nicht zu einem Boomerang wird, der Populist:innen und Autokrat:innen im In- und Ausland stärkt, muss sie sozialpolitisch abgesichert werden.
Die USA sind auf absehbare Zeit kein verlässlicher Partner. Alle Maßnahmen sollten daher auf ein strategisch autonomes Europa ausgerichtet werden, unter Berücksichtigung der aktuellen Sicherheitserfordernisse.
Die Bundesregierung sollte sich verstärkt für europäische Lösungen bei Bundeswehrbeschaffungen einsetzen und dabei Kosteneffizienz sowie eine schnelle Umsetzung priorisieren.
Wichtige Beschaffungsentscheidungen sollten offen und unter Einbeziehung unabhängiger Expertise diskutiert werden. Ein überparteilicher Expert:innenrat könnte diesen Prozess unterstützen.
Berlin sollte unabhängig von den USA auf eine stärkere nukleare Abschreckung durch Frankreich und Großbritannien hinwirken. Planungsstrukturen nach NATO-Vorbild könnten eine wichtige Rolle spielen.
Die Aufrüstung Europas bei konventionellen Mittelstreckensystemen sollte durch eine europäische Rüstungskontrollinitiative ergänzt werden, um Rüstungswettläufe einzuhegen und Krisenstabilität zu fördern.
Deutschland sollte sich darauf vorbereiten, dass die USA und Russland Rüstungskontrollabkommen anstreben könnten, die europäische Interessen beeinträchtigen. Solche Effekte sollten deutlich benannt werden.
Nach der Beschaffung von Arrow 3 sollte Berlin den Verteidigungsbereich zwischen weitreichenden Mittelstrecken- und Kurzstreckensystemen adressieren und die Einführung von Hochflughöhen-Gebietsverteidigungssystemen wie Thaad oder Arrow 2 prüfen.
Trotz Abhängigkeit von den USA, sollte die Integration deutscher Raketenabwehrsysteme in das NATO-Sensorennetzwerk vorerst vorangetrieben werden, da sie essenziell für die europäische Luftverteidigung ist.
Die Bundesregierung sollte Transparenz bei Chinas Nuklearaufrüstung einfordern und gegebenenfalls gezielt die Wirtschaftsbeziehungen nutzen, um Druck bei diesem Thema auszuüben.
Eine europaweite Koordinierung von Wissen über offensive Cyber-Operationen sollte angestrebt werden, um Schwachstellen aufzudecken und Abwehrstrategien zu optimieren.
Institutionelle Friedenssicherung
In Bewegung: Wie viel Frieden steckt noch in der Weltordnung?
Die Weltordnung ist in Bewegung. Machtverschiebungen, geopolitische Konflikte und Allianzbildung verbinden sich zu einer Polarisierung der Staaten in Lager, die sich wechselseitig als ordnungs- und zusehends als existenzgefährdend begreifen. Die Polarisierung erschwert die Einhegung von Konflikten durch internationale Institutionen und erhöht den Druck, sich einem der Pole zuzuordnen. Umso dringlicher ist eine Politik, die polarisierungsdämpfend wirkt.
Die voranschreitende Polarisierung erschwert die Einhegung von Konflikten durch internationale Regelwerke und Institutionen deutlich. Deutschland und Europa sollten eine aktiv polarisierungsdämpfende Politik betreiben.
Seit Trumps Amtsantritt steigt der Polarisierungsdruck. Aufgabe der Bundesregierung muss sein, in den Weltregionen Unterstützung für den Erhalt und die Reform von Vertragswerken und Institutionen zu suchen.
Deutschland und Europa sollten eine konsequentere Haltung in Fragen des Völkerrechts einnehmen. Das bedeutet, Verstöße unabhängig von den Akteur:innen (beispielsweise im Nahostkonflikt) klar zu benennen und auf multilateraler Ebene Lösungen voranzutreiben.
Ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist für Deutschland nicht aussichtsreich – und das Bemühen darum dient nicht der Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber Ländern des Globalen Südens. Die demonstrative Aufgabe des Vorhabens würde ein wichtiges Zeichen setzen.
Angesichts der unübersichtlichen Lage im VN-Sicherheitsrat sollte Europa eine Initiative starten, um das Uniting for Peace neu zu beleben, und Ressourcen für die Konfliktbearbeitung bereitstellen.
In allen Weltregionen ist das Interesse groß, eine regelbasierte Weltordnung aufrechtzuerhalten – aber nicht um jeden Preis. Deutschland und Europa müssen Zugeständnisse machen, etwa mit Blick auf eigene Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten.
Um als Partner für andere interessant und verlässlich zu wirken, muss Europa die eigene Erpressbarkeit verringern, indem es sich in zentralen Politikfeldern von China und, mit Einschränkungen, auch von den USA emanzipiert.
Europa und Deutschland können in China, Indien und Brasilien Partner für eine gemeinsame Friedensinitiative werben, die über einen Deal mit Putin hinausgeht.
Deutschland sollte nachhaltige Entwicklung auch in neuen Handelsbeziehungen und Energiepartnerschaften mit Ländern des Globalen Südens verfolgen. Allein auf nationale Interessen zu fokussieren, schadet der Reputation Deutschlands in einem zunehmend selbstbewussteren Globalen Süden.
Gesellschaftlicher Frieden
Für eine Abkehr von Fluchtpolitik als Sicherheitspolitik
Die Fluchtpolitik polarisiert die öffentliche Meinung wie kein anderes Thema. Die Politik macht Schutzsuchende als Sicherheitsrisiken aus und verspricht, die Anzahl der Geflüchteten durch Grenzsicherung und „konsequente Abschiebungen“ drastisch zu verringern. Selbst wenn dies gelingen sollte, wird sich die Sicherheitslage dadurch nicht automatisch verbessern. Das Grundproblem, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht befinden, wird so ebenfalls nicht aus der Welt geschafft. Es bedarf daher einer kohärenten und strategisch ausgerichteten Fluchtpolitik.
Probleme der inneren Sicherheit dürfen nicht zu einem Generalverdacht gegenüber Schutzsuchenden führen. Die Politik sollte auf populistische Maßnahmen verzichten, die später ohnehin vor Gerichten keinen Bestand haben oder absehbar die von ihnen proklamierten Ziele nicht erreichen.
Repressionen gegen Schutzsuchende tragen weder zur inneren Sicherheit bei noch mindern sie die Belastung der Sozialsysteme. Der Bund sollte gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Infrastruktur für die Aufnahme, Versorgung und Integration von Geflüchteten nachhaltig verbessern.
Anstelle des Aufbaus einer kostenintensiven Infrastruktur der Abschottung und Abschiebung sollte in eine zügige Integration der Geflüchteten investiert werden. In diesem Zusammenhang sollten psychologische Angebote ausgebaut werden.
Die Bundesregierung sollte Umsiedlungskontingente erweitern, weitere humanitäre Aufnahmeprogramme für Schutzbedürftige einrichten und Barrieren für die Familienzusammenführung abbauen.
Die Bundesregierung sollte in die Friedensförderung, Vorbeugung von Konflikten und nachhaltige Lösung von langanhaltenden Vertreibungssituationen in Krisenregionen investieren. Rückführungen sollten nicht erzwungen werden. Von Migrationsabkommen ist abzusehen, wenn im Partnerland Menschenrechte systematisch verletzt werden.
Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene für eine solidarische Einwanderungs- und Verteilungspolitik einsetzen und auf der Einhaltung von menschenrechtlichen Standards bestehen. Die EU sollte gemeinsame Programme der humanitären Aufnahme und Seenotrettung entlang der wichtigsten Fluchtrouten einrichten.
In (sozialen) Medien, im politischen Diskurs und in der Bildungsarbeit gilt es, Angst-, Hass- und Neiddebatten gegenüber Geflüchteten zu überwinden und die Herausforderungen, die sich bei der Integration von Geflüchteten stellen, nüchtern zu diskutieren.